In einem kleinen Ort in den Bergen lebte ein Mann, der sich fürs Bogenschießen begeisterte. Der Bogen, den er besaß, war wunderschön. Er wurde eigens für ihn in Handarbeit gefertigt und war daher einzigartig, genau wie die Pfeile, die dazugehörten. Ein Pfeil wurde bisher noch nie benutzt. Heute war es jedoch so weit. Der Besitzer nahm den Pfeil aus dem Köcher. Voller Vorfreude machte sich der Pfeil bereit und wartete. Er zitterte dabei, weil er so aufgeregt war. Langsam und bedächtig spannte der Mann den Bogen. Das irritierte den Pfeil. Leise flüsterte er dem Bogen zu: „Was ist denn hier los? Ich dachte immer auf mich wartet ein großes Abenteuer. Ich dachte, ich werde durch die Luft fliegen und völlig schwerelos sein. Ich wollte doch den Himmel und die Sonne sehen.“ Da sagte der Bogen: „Warte einfach noch ein bisschen und halte durch.“ Der Pfeil antwortete: „Aber es geht doch rückwärts, die ganze Zeit nur rückwärts.“ Der Bogen antwortete erneut: „Warte, halte dein Ziel im Blick und schau nach vorn.“ Der Pfeil versuchte sein Bestes, denn er glaubte dem Bogen. Der Bogen hatte schließlich schon sehr viele Pfeile abgeschossen. Er musste es ja wissen. Als der Pfeil so ungeduldig war, dass er es kaum noch aushalten konnte, kamen ihm dennoch Zweifel. Da spürte er einen kräftigen Ruck. Der Besitzer des Bogens hatte den Pfeil losgelassen. Der Pfeil flog durch die Luft. Er sah den Himmel und die Sonne. Durch die Luft zu fliegen war das schönste Gefühl, was er jemals empfunden hatte, und er dachte erstaunt: „Der Bogen hatte doch recht. Es ging erst rückwärts und das war gut so, denn die Spannung war nötig, damit ich fliegen kann.“
Auszug aus meinem Buch "Ansichtssache, den Blickwinkel erweitern", Beltz Verlag 2023, S. 42.
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