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Ich weiß, was ich will

Vor einiger Zeit war ich auf einer Hochzeit eingeladen. In der Trauansprache erzählte der Redner die bekannte Anekdote von dem Paar, das nach sechzig Ehejahren feststellt, dass jeder die Brötchenhälfte des anderen eigentlich all die Jahre viel lieber mochte. Der Redner wünschte dem Brautpaar, von Anfang an, gut miteinander im Gespräch zu bleiben, um solchen und anderen Missverständnissen vorzubeugen.

Aber kann das im Alltag wirklich gelingen? Ist das nicht nur ein schöner Wunsch? Bezogen auf die "Brötchenfrage" mag das vielleicht noch recht einfach sein. Doch wie ist es mit anderen Themen? Häufig bleibt wichtiges ungesagt und wird unausgesprochen vom Partner erwartet. Tut er dies nicht oder reagiert anders als gewünscht, entsteht Frust und Enttäuschung.

der stille rückzug

Lukas hatte einen langen und anstrengenden Tag. Nach dem Abendessen steuert er recht schnell die Couch im Wohnzimmer an. Er möchte sich jetzt nur noch vor dem Fernseher entspannen. Annikas Arbeitstag war auch herausfordernd. Sie folgt Lukas in Richtung Wohnzimmer, weil sie gerne noch ein paar Dinge mit ihm besprechen würde. Doch Lukas ist mehr an den Nachrichten aus aller Welt interessiert, als an einem Gespräch. Genervt von den einsilbigen Antworten verlässt Annika den Raum. Lukas merkt, dass da was im Argen liegt, aber ein Konfliktgespräch erscheint ihm viel zu anstrengend. Annika fühlt sich zurückgewiesen und wartet darauf, dass Lukas endlich auf sie zugeht.

Die Bedürfnisse von Annika und Lukas sind völlig legitim und es ließe sich sicher eine Vereinbarung finden, die beide zu ihrem Recht kommen ließe, doch dazu müssten sie erst einmal miteinander sprechen. Für solche Gespräche wäre es gut, wenn sie Klarheit darüber hätten, was da gerade passiert ist. Denn manchmal ist es gar nicht so leicht zu wissen, was man selbst eigentlich möchte. Der eine spürt vielleicht, dass der Puls plötzlich schneller geht, die andere merkt, dass sie nur noch aus der Situation raus will. Wer auf solche Signale achtet, kann seinen Bedürfnissen auf die Spur kommen. Es ist hilfreich, sich nach einer Konfliktsituation folgende Fragen zu stellen: Was hat mich da gerade eigentlich so wütend, traurig oder dergleichen gemacht? Was hätte ich mir eigentlich gewünscht? Welches Bedürfnis wurde nicht gestillt? Was hätte ich gebraucht?

Dies kann anfangs ungewohnt sein. Mit etwas Übung gelingt es jedoch meist recht gut, einen besseren "Draht" zu eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu bekommen. Wichtig ist dabei, die eigenen Gefühle ernst zu nehmen und den Mut zu haben, diese auch auszusprechen. Manchen Paaren hilft es, diese Gedanken erst einmal für sich aufzuschreiben und sie so dem Partner mitzuteilen.

"ich erklär dir meine welt"

Je klarer Wünsche und Erwartungen geäußert werden, umso leichter finden sich Lösungen und Kompromisse. Paare können einander ihre Welt erklären und so Verständnis für das eigenen Verhalten und Empfinden wecken. Es reicht nicht, dass Annika denkt: "Lukas muss doch merken, wie es mir geht!" oder dass Lukas denkt: "Wieso merkt sie nicht, dass ich meine Ruhe haben will!" Sie müssen ihre Schwierigkeiten ansprechen, wenn die Gemüter etwas abgekühlt sind. Vielleicht stellen sie dann fest, dass sie mit ganz unterschiedlichen Erwartungen in den Abend gingen. Lukas berichtet Annika, dass er sich durch ihr Verhalten eingeengt fühlte und unverstanden in seinem Wunsch nach Entspannung.

Er wünscht sich, dass sie sein Bedürfnis nach Regeneration und Entspannung anerkennt und ihn dafür nicht verurteilt. Annika teilt Lukas mit, dass es ihr an diesem Abend wichtig war, Gemeinschaft mit ihm zu haben. Dadurch hätte sie gespürt, dass sie ihm wichtig ist und er sie liebt. Als dies jedoch ausblieb, fühlte sie sich abgelehnt und abgewiesen. Eine kleine Geste der Zuneigung oder ein freundliches Wort hätte ihr signalisiert, dass zwischen ihnen alles gut ist und er später für sie da ist. Das hätte sie entspannt.

Durch das Mitteilen der eigenen Erwartungen und Bedürfnisse übernimmt jeder Partner für sich selbst Verantwortung. Geschieht dies nicht, wird der andere für das eigene Wohl verantwortlich gemacht. Dadurch kann eine Beziehung schnell in Schieflage geraten. Erwartungen produzieren Enttäuschungen, vor allem dann, wenn sie unausgesprochen bleiben oder unklar formuliert sind.

Sprechen Sie Ihre Erwartungen und Wünsche aus! Nur wenn sie miteinander reden, lassen sich irrige Annahmen revidieren, Brücken zueinander bauen und Streit vermeiden.

 

Wenn Sie den Eindruck haben, das Sie bei diesem Thema  noch Unterstützung brauchen, kann eine Paartherapie helfen und wieder mehr Verbindung schaffen. In meiner Praxis in Waldbröl begleite ich Paare auf diesem Weg.