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Gegensätze ziehen sich an...

Am Anfang ist es wunderbar, einen Partner zu finden, der so vieles verkörpert, was man sich wünscht. Doch wenn der Schleier der ersten Verliebtheit etwas zurückweicht, nehmen manche Paare die Unterschiede plötzlich vor allem als schwierig wahr. Dann kommt sie ihm nicht mehr „herrlich spontan“, sondern „chaotisch“ vor. Seine nachdenkliche Art geht ihr auf die Nerven, obwohl sie es mal ganz toll fand, dass das wenige, was er sagt, Hand und Fuß hat.

Das muss allerdings keine sich selbst verstärkende Entwicklung sein. Wenn Paare ihre Herausforderungen in Angriff nehmen und die Unterschiedlichkeit schätzen lernen, stärkt das ihre Beziehung. Wie das geht, möchte ich an zwei Paaren zeigen, die ich in die Typologie von DISG * (dominant, initiativ, stetig, gewissenhaft) eingeordnet habe. Das macht es anschaulicher und leichter nachvollziehbar.

Der Dominante Typ:

Daniel, 42 Jahre, Personalreferent

Daniel ist zielstrebig und ehrgeizig. Rückschläge und Hindernisse entmutigen ihn nicht, sondern spornen ihn an. Er ist entschlossen, selbstbewusst und durchsetzungsfähig. Daniel gelingt es, Situationen schnell zu analysieren und Wesentliches zu erkennen. Er liebt es, Aufgaben möglichst sofort zu erledigen. Daniel wird durch Herausforderungen motiviert und steht gern im Wettkampf mit anderen. Daniel ist dabei sehr stark an Aufgaben und Ergebnissen interessiert. Er gibt gern den Ton an und ist dabei stets offen und direkt.

 

Der Stetige Typ:

Sandra, 41 Jahre, Krankenschwester

Sandra ist ein pünktlicher und zuverlässiger Mensch. Sie mag vorhersehbare Abläufe und fühlt sich wohl, wenn sie weiß, was auf sie zukommt. Wenn sie zum Essen ausgeht, bestellt sie stets das gleiche Gericht. Wozu Neues ausprobieren, wenn Dinge sich doch bewährt haben? Es fällt Sandra schwer, sich spontan auf etwas Neues einzulassen. Sandra ist ein teamfähiger und geduldiger Mensch, die gut zuhören kann und gern vermittelt und unterstützt. Sandra hat keinen großen Bekanntenkreis, sondern schätzt ihre wenigen und intensiven Kontakte, die sie auch gewissenhaft pflegt.

Anziehungskräfte

Als Sandra Daniel näher kennenlernte, war sie beeindruckt von ihm. Es faszinierte sie, wie schnell er in der Lage war, Entscheidungen zu treffen, zu organisieren und dabei immer die Fäden in der Hand zu behalten. Es gefiel ihr, dass er häufig die Initiative ergriff. Daniel ließ sich nur selten von Widerständen einschüchtern. Durch seinen Tatendrang gelang es Sandra, mutiger zu werden und öfter über ihren Schatten zu springen. Daniel fühlte sich beim Kennenlernen schnell angezogen von Sandras warmer und freundlicher Art. In ihrer Gegenwart fühlte er sich von Anfang an „zu Hause“. Daniel schätzte es, dass er sich immer auf sie verlassen konnte und in ihr eine treue und loyale Partnerin gefunden hatte.

Reibungsverluste

Im Laufe ihres gemeinsamen Lebens wurden nach und nach aber auch ihre Unterschiedlichkeiten deutlich. Sehr häufig kommt es nun beim Thema „Entscheidungen“ zu Konflikten. Daniel entscheidet sehr schnell, Sandra möchte meist in Ruhe darüber nachdenken. Da Sandra vom Typ her eher nachgebend ist und im Streitfall gern den Weg „des geringsten Widerstandes“ geht, räumt sie Daniel viel Raum ein. Häufig ärgert sie sich im Nachhinein darüber, dass sie sich nicht durchgesetzt hat. Dies führt dazu, dass sich Sandra innerlich zurückzieht. Sandra liebt Harmonie und möchte sich nach einem Streit möglichst schnell wieder versöhnen. Jedoch nennt sie Probleme selten beim Namen. Daniel fällt es schwer, sich zu entschuldigen. Er reagiert bei einem Streit häufig bestimmend, unsensibel und zeigt wenig Toleranz und Verständnis. Darunter leidet Sandra. Daniel belastet es, dass Sandra ein niedrigeres Energielevel als er besitzt und mit überraschenden Veränderungen nur schlecht zurechtkommt. Darüber geraten sie oft in Streit.

Neustart

Was können nun beide tun, um besser mit ihrer Unterschiedlichkeit zurechtzukommen? Sandra wünscht sich ernsthafte Anerkennung und ehrliches Lob. Es ist ihr wichtig, dass sie für ihre Leistungen in Familie und Beruf Achtung und Respekt erfährt. Sie braucht das Gefühl, akzeptiert und angenommen zu sein. Nur so gelingt es ihr, tiefes Vertrauen zu Daniel zu entwickeln. Daher ist es wichtig, dass sich Daniel Zeit für Sandras Anliegen nimmt und versucht, ihre Gefühle und Gedanken zu verstehen. Dabei kann er sich bemühen, offen, warmherzig und freundlich aufzutreten. Daniel sollte lernen, Sandras abwartende Art zu akzeptieren und damit rechnen, dass sie sich zu Vorschlägen und Meinungen zunächst nur wenig äußert. Er sollte versuchen, Sandra über Entscheidungen und Vorhaben zu informieren und sie mit einbeziehen. Da er häufig impulsiv entscheidet, muss er lernen, stärker auf Sandra Rücksicht zu nehmen und sich an ihr gemächlicheres Tempo anpassen. Sandra kann lernen, sich Daniel gegenüber stärker durchzusetzen und nicht mehr so häufig nachzugeben. Sie sollte die Dinge, die sie stören klar benennen und einer Konfrontation nicht ausweichen. Dabei ist es hilfreich, wenn sie ihre Anliegen direkt und offen anspricht. Sie sollte daran arbeiten, öfter die Initiative zu ergreifen und Veränderungen gegenüber aufgeschlossener werden. Auf Dauer wird es wichtig sein, dass sie ein etwas schnelleres Tempo entwickelt, um mit Daniel Schritt zu halten. 

Der Initiative Typ:

Inga, 35 Jahre, Grundschullehrerin

Inga mag es, unter Menschen zu sein. Sie kommt gern und leicht mit Anderen ins Gespräch. Sie fühlt sich dann so richtig wohl, wenn sie ihre sozialen Kontakte pflegen kann. Selbst nach einem langen und anstrengenden Arbeitstag hat sie am Abend gern Gäste. Es macht ihr Spaß, ihre Freunde zu bewirten. Inga braucht wenig Zeit für sich selbst und ist lieber in der Gesellschaft von anderen Menschen. Auf Partys ist Inga ein gern gesehener Gast, da sie so gesellig und unterhaltsam ist. Sie versprüht Optimismus und Lebensfreude und wirkt dabei häufig ansteckend und mitreißend. Inga lässt sich schnell für etwas begeistern. Sie hat tausend Ideen im Kopf und ist voller Tatendrang. Sie ist eine „Chaos-Queen“, schlecht organisiert und bei Verabredungen mindestens fünfzehn Minuten zu spät. Inga ist spontan und lebt im Augenblick und kann das auch so richtig genießen.

Der Gewissenhafte Typ:

Georg, 38 Jahre, Bankkaufmann

Georg ist selbst diszipliniert, vorsichtig und ordnungsliebend. Sein Schreibtisch ist stets aufgeräumt und alles hat seinen festen Platz. Georg legt Wert auf Qualität. Bevor sich Georg zu einem Kauf entschließt, nimmt er sich viel Zeit zur Recherche. Erst wenn er alles bis ins Detail gründlich durchdacht, analysiert, bewertet und verglichen ist, trifft er eine Entscheidung. Georg ist kritisch und genau und hat in allen Lebensbereichen hohe Ansprüche. Im Berufsleben folgt Georg gern Anweisungen. Regeln hält er ein. Seinen Vorgesetzten ordnet er sich bereitwillig unter. Georg möchte seine Arbeit so gut er kann abliefern. Er konzentriert sich auf Details und achtet auf Genauigkeit. Georg plant gern, Spontaneität ist ihm fremd. Georg liebt Listen. Diese geben ihm Sicherheit.

Anziehungskräfte

Als Georg Inga kennenlernte, war er sofort angezogen von ihrer Kontaktfreudigkeit. Mit ihr unterwegs zu sein, machte Spaß. Ihre Begeisterung steckte ihn an und riss ihn aus seinem gewohnten Ablauf heraus. Mit Inga gelang es Georg, Neues auszuprobieren und das Leben lockerer angehen zu lassen. Das tat Georg gut. Inga war beim Kennenlernen angezogen von Georgs scharfem Verstand. Es imponierte ihr, wie es ihm gelang sich, bei Entscheidungen so gründlich und genau mit allen Details zu beschäftigen. Durch Georg wurde sie dazu angeregt, die Dinge mehr zu hinterfragen. Sie mochte seine Ernsthaftigkeit und Loyalität. In seiner Gegenwart hatte sie stets das Gefühl sicher zu sein. 

Reibungsverluste

Nach der anfänglichen Verliebtheitsphase stellten sich bei Georg und Inga aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit recht schnell Konflikte ein. Besonders beim Thema Finanzen geraten sie aktuell häufig in Streit. Georg legt Wert auf ein ausgeglichenes Konto und möchte Rücklagen für schlechte Zeiten bilden. Inga hingegen kauft gern spontan ein und gibt Geld eher unüberlegt aus. Geht es um Entscheidungen, reagieren beide völlig verschieden. Georg ist eher zögerlich und gründlich, vorsichtig und abwartend. Davon ist Inga genervt. Sie will spontane Entschlüsse, Spaß und Abenteuer. Ingas emotionale Art und ihr Wunsch, ihre Gefühle auszudrücken, überfordern Georg zunehmend. Es setzt ihn unter Druck, wenn er seine Gefühle offen zeigen soll. Inga möchte sich mitteilen und über ihre Gefühle sprechen und erwartet dies auch von Georg. Durch seine analytische, reservierte und wenig emotionale Art fühlt sie sich abgelehnt und unverstanden. Je mehr Inga reden will und „Druck“ macht, umso mehr zieht sich Georg zurück. Inga hat häufig den Eindruck, dass sie Georgs nichts recht machen kann und seinen Ansprüchen nicht genügen kann. Georg kann nicht nachvollziehen, warum Inga Aufgaben nicht zu Ende bringt und Entscheidungen nicht gründlicher durchdenkt.

Neustart

Was können nun beide tun, um harmonischer miteinander leben zu können? Bem Konfliktpunkt „Entscheidungen“ sollte Georg akzeptieren, dass Inga diese meist in Sekundenschnelle und häufig impulsiv trifft. Er muss lernen, seine hohen Erwartungen zurückzuschrauben und akzeptieren, dass das Leben mit Inga immer zu einem gewissen Teil chaotisch und spontan sein wird. Inga kann lernen, ihre Entscheidungen in Zukunft gründlicher zu überdenken und ihn mit einzubeziehen. Sie kann Georg unterstützen, indem sie vor Entscheidungen (etwa Urlaubsreisen, Autokauf) die notwendigen Erkundigungen, Vergleiche und Zahlen einholt. Inga muss verstehen, dass Georgs Sicherheitsdenken zu ihm dazugehört. Deshalb sollten seine Bedenken möglichst gründlich geklärt werden. Beim Thema „Miteinander reden“ hilft es Georg, wenn Probleme sachlich und ruhig besprochen werden. Inga hingegen ist ein emotionaler Mensch. Ein Streit kann bei ihr auch äußerst theatralisch enden. Es ist daher wichtig, dass Inga bei einem Konfliktgespräch konkrete Beispiele benennt. Dabei sollte Inga darauf achten, ihre Aussagen sachlich und logisch darzustellen. Georg fällt es dann leichter, sich bei einem Konflikt zu öffnen und sich auf eine Lösung einzulassen. Er sollte verstehen, dass Inga besonders durch Worte ihre Zuneigung ausdrückt. Reden ist für sie notwendig, um eine erfüllte Beziehung zu führen. Inga wünscht sich, dass Georg sich Zeit für sie nimmt, ihr zuhört und ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. Daher sollte Georg darauf achten, solche Momente im Beziehungsalltag einzubauen. Inga braucht Anerkennung. Hat sie das Gefühl, Zustimmung und Beifall für das zu bekommen, was und wer sie ist, dann hat Georg in Inga eine zufriedene und ausgeglichene Partnerin. Georg seinerseits sucht nach Bewunderung und Respekt für seine Ideen und Methoden und seine Korrektheit, Loyalität und Treue. Hier kann Inga lernen, ihren Blick zu schärfen und Georg ihre Wertschätzung dafür zu zeigen.

Ohne Kompromisse geht es nicht

Sowohl bei Daniel und Sandra, als auch bei Inga und Georg wird deutlich: Gegensätze ziehen sich an! Ihre Unterschiedlichkeit ist Bereicherung und Herausforderung zugleich.

Falls Sie Ihre Unterschiede als Paar als Herausforderung erleben, dann kann Paarberatung oder Paartherapie hilfreich sein. In meiner Praxis in Waldbröl begleite ich Paare dabei, Ihre Unterscheide (wieder) als Bereicherung zu erleben.

*DISG ist ein Akronym und steht für dominant, stetig, initiativ, gewissenhaft. Die Begriffe sind hier als neutral zu verstehen. Das Modell beschreibt Verhaltenstendenzen unterschiedlicher Typen. Die Typologie hat der Psychologe William Moulton Marston 1928 entwickelt. Aus den vier Grundtypen ergeben sich verschiedene Mischtypen. Onlinetests und Fragebögen erlauben es, dass sich jeder selbst zuordnen kann. Diese Einschätzung soll helfen, das Verhalten von anderen besser zu verstehen.

Literatur: Friedbert Gay: Persönliche Stärke ist kein Zufall – Das DISG-Persönlichkeitsprofil.